Einleitung

von Cornelius von Baeyer
Oktober 2007

Die meisten ihrer auf Deutsch verfassten Gedichte schrieb Renata von Baeyer im Deutschland der 30er und 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts; damals war sie zwischen 20 und 40 Jahren alt. Häufig wiederkehrende Themen sind Verlust und sinnlose Zerstörung, neben Liebe und natürlicher Schönheit. Die Übersetzungen ins Englische stammen hauptsächlich aus den 60er und 70er Jahren, als sie zwischen ihrem 50. und 70. Lebensjahr in Vancouver lebte. Diese Zeit war für sie eine glücklichere, doch ihre früheren Einsichten und Reaktionen wollte sie nicht verlieren. Obwohl sie über ihre dichterischen Arbeiten während der Entstehung nicht mit Familienmitgliedern sprach, hatte sie das starke Gefühl, dass Aspekte der Vergangenheit wieder aufgefrischt und für zukünftige Generationen übersetzt werden sollten.

Die Gedichte der Lyrikerin verwenden spätromantische und expressionistische Themen. Der Leser dürfte sich an manche Arbeiten aus der Feder von Rainer Maria Rilke oder Stefan George erinnert fühlen. Die Gedichte dieser Sammlung werden in fünf Abteilungen dargeboten, deren Tonlage einer von der Autorin eigenhändig verfassten Liste nahekommt, die sie vor ihrem Tode aber nicht mehr auf ihre Sammlung übertragen konnte. Es handelt sich um:
Leben und Werden
Liebeslieder
Vorahnungen
Klagen
Mythen und Metaphern.

Renata von Baeyer hat ihre Klangbilder geschaffen, indem sie verschiedene poetische Formen, gereimte wie reimlose, benutzte und dabei auch onomatopoetische Verfahren sowie verschiedene Arten der Wiederholung angewandt hat, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Diese wurden auf unterschiedliche Weisen ins Englische übertragen – in manchen Fällen wird ein gereimtes deutsches Gedicht auch im Englischen gereimt sein, in manchen nicht. Wo der Reim im Englischen zur Anwendung kommt, muss die Übersetzung notwendig etwas lockerer ausfallen. Die sechs Nachdichtungen von Bill Grant (1943-1993) gehen auf bereits bestehende, wörtlichere Übersetzungen zurück und sind auch im Gebrauch der Sprache etwas freier. Hierbei handelt sich um die Gedichte Before the Door, Enigma, Night Journey, Night Lament, Bona Dea, and Thanatos.

Manchmal bekam die Autorin Hilfe von Maschinenschreibern, die kein Deutsch sprachen, und über lange Zeiträume benutzte sie Schreibmaschinen ohne deutsche Tastatur. Mit der Umwandlung zur digitalen Form entstanden weitere Uneinheitlichkeiten. Hier haben wir Korrekturen angebracht und uns dabei an gegenwärtige Standards, wie ein einheitliches Schriftbild oder den Gebrauch des Buchstabens ß, gehalten, anstatt den Versuch der Wiederbelebung von 70 Jahre alten Moden zu unternehmen. Dabei haben wir möglichst wenige zusätzliche Änderungen vorgenommen. Dort freilich, wo wir bei der Lektüre eines Verses, den die Autorin in einer halbfertigen deutschen oder englischen Fassung hinterlassen hat, gestolpert sind und eine bessere frühere Version des Gedichtes zu finden war, haben wir einige kleine Änderungen übernommen. Das Ziel war, die Gedichte dem modernen Leser so verständlich wie möglich zu machen und zugleich den Inhalt des Originals getreu zu bewahren. Die Übersetzungen der Gedichte Nachtgedanken, Wie eine böse Sturmflut, Wenn ich in den Park gehe, Aber die Toten kommen nicht mehr, Berliner Nacht 38, Den Toten, Vergiss nicht und Hybris erforderten etwas mehr als eine nur redigierende Bearbeitung.
 
Die vorliegende Auswahl von 26 Gedichten wurde einem Corpus von über 100 Gedichten der Lyrikerin entnommen. Von ihren deutschen Gedichten sind 78 ins Englische übersetzt, 14 wurden in Englisch verfasst, und ein Dutzend weiterer Gedichte liegt nur auf Deutsch in ganz unterschiedlicher Vollständigkeit vor.

Renata von Baeyer hat an ihren Gedichten bis kurz vor ihrem Tode in Vancouver im Alter von 66 Jahren gearbeitet. Sie konnte die Sammlung deutscher Gedichte mit englischen Übersetzungen nicht abschließen, doch sie hinterließ das meiste davon in beinahe fertigem Zustand. Diese letzte Lücke zu schließen und ihr Werk zu veröffentlichen erwies sich als große Herausforderung. Doch freuen wir uns, zum dreissigsten Todesjahr Renata von Baeyers einen Querschnitt ihrer Gedichte einem größeren Publikum mit Hilfe von Computer und Internet vorstellen zu können.
 
Diese kurze Einführung schließt mit einem Fragment aus einem englischen Gedicht der Autorin; es ist ohne Titel und wird hier erstmalig ins Deutsche übersetzt:

Es gibt Gedichte, ich werd’ sie nie vollenden
Wach lieg’ ich in der Nacht
Wenn Wort um Wort vorüberzieht
Den Wellen gleich, die hart und gleich im Maß
Brechen an des Traumlands Strand ...

 

Introduction

by Cornelius von Baeyer
October 2007

Renata von Baeyer wrote most of her German poems in Germany in the 1930s and 1940s, when she was in her 20s and 30s.  Loss and senseless destruction are recurrent themes, alongside love and natural beauty.  The English translations are mainly from the 1960s and 1970s when she lived in Vancouver, in her 50s and 60s. These were happier times for her, but she did not want to lose her earlier insights and reactions.  Although she did not discuss her poetic works in progress with family members, she felt strongly that aspects of the past should be refreshed and translated for future generations.

The author’s poetry employs later romantic and expressionist themes.  Readers may be reminded of some of the work of Rainer Maria Rilke or Stefan George. The poems in this collection are presented in five categories, close in tone to a list she produced herself, but was unable to apply to her collection before her death.  They are:

Being and Becoming
Love Songs
Premonitions
Laments
Myths and Metaphors

Renata von Baeyer created her sound images using varied poetic forms (rhymed and unrhymed), including many onomatopoetic devices and different sorts of repetition for effect.  These have been carried into English in differing ways – sometimes a rhymed German poem will be rhymed in English, sometimes not.  Where rhyme is used in English, the translation must of necessity be somewhat looser.  The six poems recast by Bill Grant (1943-1993) were based on existing more literal translations and are also somewhat freer in language.  (The six are: Before the Door, Enigma, Night Journey, Night Lament, Bona Dea, and Thanatos.)

The author had the help at times of non-German-speaking typists, and for long periods used typewriters without German characters.  The conversion to digital form produced further anomalies.  We have made our corrections using current standards for such things as typefaces and the ß symbol, rather than trying to re-create the fashions of 70 years ago.  We made as few additional changes as possible.  However, where we stumbled when reading a line of her semi-final versions in German or English, and an improvement could be found in an earlier version of the poem, we incorporated some small changes.  The goal was to make the poems as accessible as possible to the modern reader, while trying to preserve faithfully the content of the originals.  (Poems requiring somewhat more than copy-editing were the following translations: Thoughts in the Night, Like a Terrible Storm, When I Go to the Park, The Dead Do Not Return, Berlin Night 38, To the Dead, Do Not Forget, and Hubris.)

The present selection of 26 pairs of poems has been made from a corpus of over 100 poems by the author. Of her German poems, 78 have English translations, 14 were composed in English with no German translations, and a dozen other poems are in German only, in various states of completion.

Renata von Baeyer was working on her poems not long before her death in Vancouver at age 66.  She could not complete the collection of German poems with English translations, but she left much of it in close to final form.  Closing that last gap and publishing her work proved to be major hurdles, but on the 30th anniversary of her death, and with computer and Internet to facilitate the task, we are pleased to be able to present a cross-section of her poems to a wider audience.

To close this short introduction, here is a fragment of one of the author’s untitled English poems:

There are some poems I shall never finish.
All night I lie awake
And the words pass me
Like waves, firmly and evenly
Breaking on dreamland’s shore...